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Lüttich-Bastogne

La Doyenne 2023 Lüttich-Bastogne-Lüttich

La Doyenne 2023 Lüttich-Bastogne-Lüttich 1920 1280 Mic

Was wird wohl die junge Frau mit den zwei Kindern über den Mann in „Strumpfhosen“ gedacht haben, der auf dem Klappsitz vor der Toilette im ICE von Bremen nach Köln saß und krampfhaft sein Fahrrad festgehalten hat? Der Mann wusste es nicht genau, es sah aber so aus, als würde die Frau ihre quengelnden Kinder in der Toilette vor dem Mann beschützen wollen, in dem sie die Tür von außen mit beiden Händen blockierte.


Ardennen 4400 hm

Der Mann war ich, natürlich völlig harmlos, in Radklamotten, und auf der Reise nach Lüttich, um dort an der Challenge „Lüttich-Bastogne-Lüttich“ teilzunehmen. Nach dem „Amstel Gold Race“ im letzten Jahr wollte ich mir endlich den Traum erfüllen und eins der Monumente des Radsportes fahren. La Doyenne (die Älteste) wird seit 1892 ausgetragen und ist mit Sicherheit nach Paris-Roubaix das schwerste aller Eintagesrennen. Immerhin sind auf dem 251 km langen Weg durch die Ardennen 4400 hm zu bewältigen, und die Prozentzahlen an den berühmten Anstiegen wie La Redoute oder Roch-aux-Foucons sind furchteinflößend.

Daran dachte ich, als ich in Aachen aus dem Zug stieg und im Bikepackingmodus meine Ridley-Aeromaschine in Richtung Belgien bewegte. Das Abenteuer hatte begonnen und ich flog über den ersten Berg, um dann mit großer Geschwindigkeit die Abfahrt bis zur Landesgrenze zu nehmen. Auf dem Weg über die holprigen Straßen der Ardennen, spürte ich die Kraft der Hügel. In der Luft lag dieser feine Geruch, ein undefinierbares Gemisch aus Schweiß, Blut und Endorphinen. Hier gehörte ich hin, hier wollte ich leiden. Ich fühlte mich Willkommen! Dann war er da, dieser 22.4.2023.


Schließlich war ich hier bei Lüttich-Bastogne-Lüttich und nicht irgendwo auf einer Kirmes

In der Nacht vor dem Start hatte es noch ein heftiges Gewitter gegeben. Die Straßen waren kurzzeitig weiß vom Hagel und die Blitze erhellten die Berge, die am nächsten Tag zu meiner Bühne werden sollten. Morgens um 6.30 wurde die Meute in Banneux, einem kleinen Ort südlich von Lüttich, von der Leine gelassen. Ich hatte mich für kurze Hosen, Langarmtrikot und Weste entschieden. Das musst reichen, egal was kommt. Schließlich war ich hier bei Lüttich-Bastogne-Lüttich und nicht irgendwo auf einer Kirmes in Bayern. Die 251 km lange Strecke war gespickt mit 40 kategorisierten Anstiegen, von denen einige wirklich geschichtsträchtig sind. Radsportfans atmen tief durch, wenn sie Namen wie Cote de Roch, La Redoute, Roch-aux-Foucons, Col de Rosier oder Col de Wanne hören.

Nach dem Start fuhren wir mit Gegenwind (Das verhieß für den zweiten Teil der Strecke Rückenwind.) Richtung Bastogne, dem südlichsten Punkt der Strecke. Ich fühlte mich gut und fuhr einen, wenn auch nicht besonders schnellen, Rhythmus. Mein Ziel war anzukommen. Plätze und Zeiten waren mir komplett egal.


So habe ich schlagartig hunderte Cyclists hinter mir gelassen.

Meine besondere Taktik ging auf: An den Bergen ruhig bleiben und an den Verpflegungsstellen attackieren! Ich habe nur Iso aufgefüllt und bin sofort weiter. So habe ich schlagartig hunderte Cyclists hinter mir gelassen. Das gab mir immer wieder das Gefühl, mitten im Feld zu sein. Bei Kilometer 160 waren knapp 2000 hm bewältigt. Die Abfahrten waren schnell, weil die Straßen bis dahin noch eben und die Anstiege noch gnädig waren. Die Sonne schien und alles war nur halb so schlimm. Aber jeder, der sich mit dem Rennen auskennt, weiß, Lüttich-BastogneLüttich beginnt jetzt erst richtig. Cote an Cote reihte sich nun gnadenlos aneinander.


21,4%-Marke, bevor mir schwarz vor den Augen wurde

Die Prozentzahlen in den Steigungen sind unmenschlich. Am Scheitelpunkt der Cote Stockeu, an der die Stele von Eddy Merckx steht, erhaschte ich mit einem Blick auf den Tacho die 21,4%-Marke, bevor mir schwarz vor den Augen wurde. Tief über den Lenker gebeugt, hieß es jetzt einfach nur Drücken. Das zwischenzeitlich nervöse Fummeln an der Schaltung war nur die entmutigende Bestätigung dafür, dass alle Gänge aufgebraucht waren. Pünktlich zur Entscheidung wurden wir endlich mit Regen belohnt. Gleichzeitig verwandelten sich die Straßen in Schlaglochpisten. Beste Voraussetzungen für ein episches Finale. Bevor es in die lange Abfahrt nach Remouchamps ging, fuhr ich, nach mehr als 210 km, ziemlich knapp an meiner Unterkunft vorbei. Ich musste an Odyssee denken, der den Sirenen widerstand, als ich an die Wärme des Pelletofens, die Dusche und die leckeren Nudeln auf dem Herd dachte. Einfach nur abbiegen und das Leid war zu Ende.

Der Moment ging vorbei und plötzlich war ich an der La Redoute. Ich bahnte mir den Weg durch ein Spalier unzähliger Wohnmobile und spürte mehr denn je die Müdigkeit und die Schmerzen in meinem Körper. „Nur noch hier hoch, dann ist es fast geschafft. Ich bin an der berühmten La Redoute. Fahr, Udo, fahr! Da wolltest du doch immer hin.“ Dann war es geschafft – die Redoute. Der Regen nahm zu. Ich begann zu frieren. Die Konzentration ließ nach und immer wieder fuhr ich unkontrolliert durch Schlaglöcher. Als ich an die Cote Roch-aux Foucons kam, fühlte ich mich wie ein geprügelter Hund. Den Berg kannte ich vom Jahr zuvor. Dort war ich mit Marc einen Tag vor dem Amstel locker hochgekurbelt. Es ging leicht nach rechts und dann sah ich diese Wand. Das Rot auf meinem Wahoo schien mich zu verhöhnen. „Was soll das?“, habe ich kurz gedacht und bin los, den Blick stoisch auf mein Vorderrad gerichtet.


„Doyenne, du schaffst mich nicht!“

Hätte ich nach vorn geschaut, wäre ich bestimmt abgestiegen. Der Regen prasselte auf meinen Helm und die Beine verfingen sich im Rahmengewirr. Dann war es geschafft, auch die brutale Gegensteigung die einer kurzen Abfahrt folgte. Die letzten Kilometer waren qualvoll. Ich war erledigt und es ging weiter bis zur Ziellinie berghoch. „Doyenne, du schaffst mich nicht!“


Die Erlösung – die Linie!

Die Schlacht war zu Ende. Fast. Die 6 km bis zu meiner Wohnung schienen endlos: Cote de Huis! Kategorisierter Anstieg Nr. 41.

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